Die politische Kultur in der Schweiz verludert immer mehr
15. Mai 2023 – Fraktionserklärung der Mitte-Fraktion vom 15. Mai 2023
Um was geht es eigentlich beim Begriff «Gender»? Das Wort «Gender» stammt aus dem Englischen und bezieht sich auf die sozialen, kulturellen und psychologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die über die biologischen Unterschiede hinaus gehen. Gender bezieht sich auf die Rollen, Erwartungen und Verhaltensweisen, die mit Männlichkeit und Weiblichkeit verbunden sind. Meine Zeit als Schulpflegerin ist schon über 10 Jahre her und die Schule hat sich schon damals mit diesem Themenkreis beschäftigt. Im Unterschied zu heute war das Thema jedoch viel weniger aufgeladen.
Es ist Aufgabe der Schule, sich mit Themen wie Geschlechterrollen, Stereotypen und Vorurteilen auseinanderzusetzen oder wie man mit Verliebtsein, der eigenen Sexualität und der Verhütung umgeht. Das ist auch im Lehrplan 21 vorgesehen. Die Art und Weise, wie der Reminder-Brief der Schule Stäfa zu ihrem Gender-Tag formuliert wurde – darüber könnte man durchaus diskutieren.
Aber die Diskussion wurde eben nicht gesucht. Ohne genauer abzuklären, was überhaupt der Inhalt dieses Gendertages war, hat Andreas Glarner wieder einmal einen Shitstorm losgetreten.
Wo führt das hin, wenn Politiker, ohne sich richtig zu informieren, mit provokativen und teilweise faktenfreien Behauptungen «die Meute aufhetzen?» Herr Glarner kapert als Nationalrat aus dem Kanton Aargau einmal mehr die Deutungshoheit, was an einer Schule in einer Zürcher Gemeinde zu gelten hat.
Einmal mehr wird via – an dieser Stelle muss von «asozialen» Medien gesprochen werden, – Intoleranz und Hetze verbreitet. Dies, indem die Handynummer der Schulsozialarbeitern öffentlich verbreitet und die Entlassung der Schulleitung gefordert wird. Und es mutet an wie ein Armutszeugnis, wenn bei uns in der Schweiz ein Polizeiaufgebot notwendig wird, damit der Schulunterricht stattfinden kann. Was sich letzte Woche abgespielt hat, ist erbärmlich.
Einmal mehr wird ein gewählter Volksvertreter aus einem Nachbarkanton zum Täter und zum Brandstifter. Er schädigt Schicksale von Kindern, Eltern, Lehrpersonen und Schulbehörden. Ein solches Benehmen gibt uns zu Denken. «Wer in dieser Art aufwiegelt und Personendaten veröffentlicht, nimmt seine Verantwortung als Politiker nicht wahr.»
Passen wir aber auf, dass die Hetze von Glarner, Köppel und Co. nicht automatisch zu Gegenhetze auf der anderen Seite führt. Politik darf nicht auf dem Rücken der Schule, auf dem Rücken der Kinder und Jugendlichen oder auf dem Rücken unseres geschätzten Lehrpersonals gemacht werden. Dass ein Shitstorm zur Absage eines Unterrichtstages führt, ist ein Skandal und ein bedauernswert hilfloser Versuch, Aufmerksamkeit zu erzeugen .
Wir alle hier drin haben vor einer Woche gelobt, die Einheit und Würde des Staates zu wahren und die Pflichten unseres Amtes gewissenhaft zu erfüllen. Wir sollten als Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit besserem Beispiel vorangehen und zuerst die Fakten kennen, bevor wir lautstark kommentieren. Unser Land und auch unser schöner Kanton Zürich wird durch die zunehmende Polarisierung bedroht. Lassen wir nicht zu, dass die politische Kultur immer weiter verludert.